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22.12.2025 06:00

Frieden mit dem Finanzamt - immer weniger Steuerprozesse

Verfahren an Finanzgerichten

München/Düsseldorf (dpa) - Die Beziehungen von Bürgern und Unternehmen zu ihren Finanzämtern sind in den vergangenen Jahren sehr viel friedlicher geworden: Die Zahl der Steuerprozesse und sonstigen Verfahren an den Finanzgerichten hat sich dramatisch verringert. Im vergangenen Jahr gingen am Bundesfinanzhof - dem in München ansässigen höchsten deutschen Steuergericht - nur noch gut halb so viele Verfahren ein wie zwei Jahrzehnte zuvor: 3.403 Verfahren im Jahr 2005, 2024 dann nur noch 1.744. An den 18 Finanzgerichten der ersten Instanz ist die Tendenz ähnlich. 

Das wirft allerdings die Frage auf, ob der Friede mittlerweile zu weit geht - und es zu mühsam geworden ist, sich gegen den Fiskus zur Wehr zu setzen. 

Die Bundesregierung reagierte auf den Rückgang der Verfahren in diesem Jahr mit der Streichung eines Senats am Bundesfinanzhof, eine Neuerung, die unter Steuerrechtlern Wellen schlug. Da die Zahl der Verfahren jedoch so stark gesunken ist, muss niemand fürchten, dass sich die Grundsatzentscheidungen des Bundesfinanzhofs künftig verzögern oder die Sorgfalt leidet. «Die Streichung eines Senats führt nicht dazu, dass die Qualität der Rechtsprechung sinkt», sagte BFH-Präsident Hans-Josef Thesling der Deutschen Presse-Agentur. 

Gründe für den Rückgang unklar - Digitalisierung spielt mutmaßlich eine Rolle 

Warum so viel weniger Bürger und Unternehmen ihre Steuerbescheide anfechten, ist unklar. «Für den Rückgang der Verfahrenseingänge gibt es nicht die eine Ursache, mit der dieser Rückgang begründet werden kann», sagt Thesling. Das bayerische Finanzministerium zumindest hat dem nicht nachgeforscht. Aus Verwaltungssicht sei ein Rückgang der Klageeingänge selbstverständlich zu begrüßen, teilt ein Sprecher mit. «Wir bitten jedoch um Verständnis, dass uns die unter Umständen vielfältigen und auch individuellen Gründe für den Rückgang nicht bekannt sind.» 

Die juristische Fachwelt äußert jedoch begründete Vermutungen. «Die Finanzverwaltung führt die Steuerfestsetzung in zunehmendem Umfang rein digital durch», sagt Thesling. «Dadurch sinkt die Zahl der Fälle, in denen von der Steuererklärung abgewichen wird, und zugleich ein Anlass für Klagen.» Abgesehen davon hat die Klageneigung auch in den anderen Zweigen der zivilen Gerichtsbarkeit zum Teil deutlich abgenommen, wie der BFH-Präsident erläutert. 

Computer prüfen weniger scharf als Beamte 

Auf der anderen Seite stehen die Steueranwälte und Steuerberater, die ihre Mandanten in Streitigkeiten mit dem Fiskus vertreten. «Auch die Finanzämter haben mit Personalmangel zu kämpfen», sagt Carsten Nicklaus, der erste Vorsitzende des Steuerberaterverbands Düsseldorf. Auch er geht davon aus, dass die Automatisierung eine Rolle spielt: «Das eingesetzte Risikomanagementsystem führt wahrscheinlich dazu, dass weniger Streitfälle entstehen.» Letzteres bedeutet, dass die Finanzbeamten von ihren Computern auf mögliche Verdachtsfälle hingewiesen werden - möglicherweise ist die Software weniger misstrauisch als der Mensch. 

Nach Nicklaus' Einschätzung sind aber auch die Finanzbehörden um menschliches Auftreten bemüht: «Wenn man dann mal streitet, sind die Ämter dann auch bestrebt, eine Lösung mit dem Steuerpflichtigen zu finden», sagt der Steuerberater. «Wenn das Ergebnis für beide Seiten okay ist, kommt es auch nicht zu einer Klage.» 

Hoffnungslose Fälle leichter zu erkennen 

Früher seien Fronten oft sehr verhärtet gewesen, sagt Nicklaus. «Und die Steuerpflichtigen sowie die Berater hatten nicht die Möglichkeit der Internetrecherche, oder gar die KI zu befragen. Heute hat so manch ein Steuerpflichtiger ein Einsehen, wenn er die Begründung zu der Ablehnung des Finanzamtes mit diesem Mitteln überprüft.» Offenbar hilft die Digitalisierung also auch dabei, aussichtslosen Klagen vorzubeugen. 

Also alles bestens? Eher nicht, denn mutmaßlich tragen auch weniger erfreuliche Faktoren zum Rückgang der Verfahrenszahlen bei. «Viele Steuerpflichtige scheuen heute außerdem das Prozesskostenrisiko in Form von Gerichts- und Steuerberaterkosten», sagt Nicklaus. Abgesehen von den Kosten sind Steuerverfahren häufig auch sehr langwierig. «Viele Unternehmen wollen nach meiner Wahrnehmung auch nicht jahrelang auf ein Urteil warten», sagt der Steuerberater. «Sie möchten die Sache zum Abschluss bringen, anstatt jahrelang auf ein Urteil zu warten. Das nennt man Rechtssicherheit.» Auch Jochen Lüdicke, der Ehrenpräsident des Bundesverbands der Steuerberater, geht davon aus, dass die langen Verfahrensdauern abschreckend wirken. 

Bürger müssen sich wehren können 

Unter Juristen herrscht Einigkeit, dass ein Rechtsstaat keine Anreize für sinnlose Prozesse setzen sollte. Doch darf die Schwelle auch nicht so hoch liegen, dass es Bürgern und Firmen erschwert oder unmöglich gemacht wird, zu ihrem Recht zu kommen. «Der Staat greift dem Bürger in die Tasche, und die Steuerzahler müssen sich in irgendeiner Form dagegen schützen können», sagt Nicklaus. Auch manche Richter halten niedrigere Hürden für sinnvoll. 

Die Steuerberaterverbände fordern daher, die Möglichkeit einer bis zum ersten Erörterungstermin am Finanzgericht kostenlosen Klagerücknahme einzuführen. Außerdem sollten die Zulassungshürden für Revisionsverfahren deutlich gesenkt werden, meint Nicklaus - und auch die sogenannte Streitwertrevision wieder eingeführt. «Das heißt, jeder Steuerpflichtige, dessen Streitwert eine bestimmte Summe überschreitet - nehmen wir mal an 10.000 Euro – sollte die Möglichkeit haben, ein Urteil vom Bundesfinanzhof überprüfen zu lassen.»



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