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06.05.2025 13:40

ROUNDUP 3/Durchgefallen: Debakel für Noch-Nicht-Kanzler Merz

(neu: mehr Details und Hintergrund)

BERLIN (dpa-AFX) - CDU-Chef Friedrich Merz hat auf dem Weg ins Kanzleramt überraschend einen schweren Rückschlag erlitten: Der 69-Jährige scheiterte bei der Wahl im Bundestag im ersten Wahlgang. Eine Situation, in der noch keiner der bisher neun Kanzler vor ihm war. Union und SPD wollen trotzdem mit Merz in einen zweiten Wahlgang gehen - so früh wie möglich.

Was für den Mann aus dem Sauerland der bislang größte Tag in seiner politischen Karriere werden sollte, wird zum Debakel. Es dürfte einen dunklen Schatten auf seine Kanzlerschaft werfen - wenn denn am Ende überhaupt noch etwas daraus wird.

Frau und Töchter im Moment des Scheiterns auf der Tribüne

Seine Frau Charlotte, seine beiden Töchter Carola und Constanze und Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgten von der Tribüne, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) wenige Minuten nach 10.00 Uhr das Scheitern im ersten Wahlgang verkündete. Merz erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.

Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik in der Form ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag durchgefallen. Merz zeigte bei der Verkündung des Ergebnisses kaum eine Regung: versteinerte Gesichtszüge, der Kiefer fest, der Blick geradeaus.

Merz kennt solche Momente. Nach dem Aufstieg Merkels schied er frustriert aus der Politik aus, weil es für ihn keine Karriereperspektive unter ihr gab. Sein Comeback direkt an die Parteispitze gelang erst im dritten Anlauf, nachdem er zwei Kampfkandidaturen verloren hatte. Er ist aber immer wieder aufgestanden. Und hat es jetzt nach fast ganz oben geschafft. Aber bisher eben nur fast.

Geschäftsführer Scholz regiert jetzt erstmal weiter

Dabei sah am Montag noch alles so gut aus: Union und SPD hatten mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags das fünfte schwarz-rote Bündnis in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt und ihre letzten Personalfragen geklärt. Mit der Kanzlerwahl wollten die beiden Fraktionen nun die letzte Hürde auf dem Weg zu einer funktionsfähigen Regierung ein halbes Jahr nach dem Aus der Ampel-Koalition nehmen.

Das ist nun erstmal auf Eis gelegt. Die geplante Ernennung von Merz durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zunächst geplatzt. Die Vereidigung des Kabinetts auch. Genau wie die bereits geplanten Amtsübergaben in den Bundesministerien. Der geschäftsführende Kanzler Olaf Scholz (SPD) - am Montag schon mit einem großen Zapfenstreich feierlich verabschiedet - und sein rot-grünes Rumpf-Kabinett regieren vorerst weiter.

Klingbeil versichert: SPD stand zu Merz

Wer für das Scheitern von Merz im ersten Anlauf verantwortlich ist, ist noch unklar. Union und SPD hatten vor der Sitzung angegeben, dass ihre Abgeordneten komplett anwesend seien. Doch mindestens 18 müssen nicht für Merz gestimmt haben, vielleicht auch mehr. Denn theoretisch könnten ja auch Oppositionspolitiker ihre Stimme für den CDU-Chef abgegeben haben.

An der SPD habe es nicht gelegen, versicherten die Genossen nach der Niederlage sofort. SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil erklärte nach Angaben aus Fraktionskreisen, er habe "nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestanden hat". Das deutliche Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag sei ein Auftrag an die Fraktion. "Und sie erfüllt diesen. Auf uns ist Verlass", betonte der designierte Vizekanzler demnach.

Doch sicher kann auch Klingbeil nicht sein, denn die Wahl war geheim

- es lässt sich also nicht überprüfen, ob nicht doch jemand anders

abgestimmt hat, als er oder sie es angekündigt hat. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), betonte nach einer Fraktionssitzung: "Ich vertraue all unseren Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion." Und sie zeigte sich entsetzt. "Ich finde das, was heute passiert ist, unverantwortlich."

Linke "krachsauer", Grüne besorgt

Aus der Opposition frohlockte vor allem die AfD und forderte sofort eine Neuwahl des Bundestags. Grünen-Chefin Franziska Brantner dagegen sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir wünschen uns für Europa und Deutschland eine handlungsfähige Regierung." Merz und Klingbeil müssten nun beweisen, dass sie die Mehrheit ihrer Fraktionen jetzt, aber auch für vier Jahre sichern könnten. Thüringens früherer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) machte ebenfalls Merz und Klingbeil für die Lage verantwortlich. "Ich bin krachsauer auf die Koalition", sagte er der dpa.

Wie es jetzt weitergeht

Auch wenn es noch nie vorgekommen ist, regelt das Grundgesetz auch den Fall eines gescheiterten Wahlgangs. "Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen", heißt es in Artikel 63.

Wann der nächste Wahlgang stattfindet, blieb zunächst offen - und wurde in unterschiedlich besetzten Runden im Büro von Merz besprochen, mal Union und SPD allein, mal mit Grünen und Linken. Das Ziel: Möglichst bald einen neuen Versuch zu starten. Ob das noch heute möglich ist, wird aktuell noch juristisch geprüft.

Söder will keine Spielchen

Dass Merz sich für einen zweiten Wahlgang aufstellen ließ, könnte darauf hinweisen, dass er mit einem besseren Ergebnis rechnet. Die entscheidende Frage: Wollten ihm einige Abgeordnete eventuell nur einen Denkzettel verpassen und stimmen im nächsten Wahlgang zu - oder wollen sie tatsächlich seine Kanzlerschaft verhindern?

CSU-Chef Markus Söder mahnte die Abgeordneten von Union und SPD, jetzt sei der falsche Zeitpunkt für Spielchen, Denkzettel oder die Begleichung alter Rechnungen. "Wir brauchen Stabilität wie nie und konnten es heute nicht erzielen", sagte er in München. Es gehe bei der Wahl des Kanzlers auch nicht nur um eine Person, sondern um eine ganze Regierung.

Reicht Merz' Glaubwürdigkeits-Kredit?

Doch Merz hatte auch in den Unions-Reihen einen teils heftig zu spürenden Frust ausgelöst, als er nur Tage nach der Bundestagswahl eine Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben anstieß. Und das, obwohl seine Partei im Bundestagswahlkampf den Eindruck erweckt hatte, fest zur Schuldenbremse zu stehen.

Seitdem sinken Merz' Beliebtheitswerte in Umfragen, Wähler fühlen sich betrogen - und auch in der Fraktion zeigten sich manche angefasst. Der 69-Jährige selbst räumte öffentlich ein: "Ich weiß, dass ich jetzt einen sehr hohen Kredit in Anspruch genommen habe, auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit betrifft." Diesen Kredit wollte er als Kanzler zurückzahlen - wenn man ihn lässt.

Am Mittwoch vielleicht Berlin statt Paris und Warschau

Es gibt nun eine zweiwöchige Frist für die Wahl des Kanzlers. So lange will aber eigentlich niemand mehr auf eine neue, stabile Regierung warten, nachdem Deutschland seit einem halben Jahr von einem Minderheitskabinett regiert wird. Die Erwartungen sind hoch. Im Inland hoffen die Menschen vor allem auf die Ankurbelung der seit langem schwächelnden Wirtschaft. Dafür muss schnell ein Haushalt beschlossen werden.

Im Ausland warten die europäischen Verbündeten seit dem radikalen Kurswechsel in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump darauf, dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes EU-Land wieder voll handlungsfähig wird - gerade mit Blick auf die Bedrohung aus Russland und die Konkurrenz aus China.

Am Mittwoch wollte Merz eigentlich zu seiner ersten Kanzlerreisen nach Paris und Warschau aufbrechen. Ob daraus etwas wird, ist am frühen Nachmittag noch offen./mfi/DP/jha



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